Lied der Kirsche

  

Warst du es?

Vielleicht?

War ich es?

Vielleicht?

Vielleicht war es ein anderer, der, eine andere, die

Zwei dunkelrote, nein schwarze Kirschen vom Ohr genommen hat

Und beide samt den Stielen im Mund verschwinden ließ.

Hast du die Stiele zwischen den Lippen herausgezogen,

die Kirschen hinter den Zähnen eingesperrt?

Hast Du die Schale gesprengt mit einem Biss?

Dass der Saft sich im Mund verbreitet?

Hast Du das Fruchtfleisch mit der Zunge ausgedrückt,

dass der Kirschsaft die Zunge umspülte?

Gut schmecken Kirschen, sehr gut.

Der Stein wird achtlos, verächtlich ausgespeit,

er hat nicht den herrlichen sauren Saft.

 

Die Kirschen vom anderen Ohr wandern ihren Schwestern nach,

Kirschen für Kirschen wandern in den Mund, den Gaumen zu erfreuen.

 

Sommer ist's geworden, heißer Sommer, Hochsommer,

Alle Kirschen sind verzehrt, wenn nicht vom Menschen, so von Tieren.

Vielleicht viel zu viel von Tieren, von Amseln, den Bösen. Den Bösen?

Ein Genuss wären saure Kirschen jetzt,

ein herrlicher Genuss eine einzige Kirsche

ein Hochgenuss ein Kirschenstein mit etwas Fruchtfleisch dran.

Verzehrt, schon längst, sind alle Kirschen.

 

Die Hitze des Sommers ist vergangen, die Tage sind kürzer geworden,

morgens verschleiert der Nebel die Sicht.

Kühler ist es, frisch geworden.

Wenn die Sonne noch ein bisschen wärmen würde,

noch ein klein bisschen Altweibersommer.

Doch der Herbst zieht ein, malt alle Bäume bunt.

Viel Gelb hat er vermalt und auch Orang,

mit Rot hat er gespart, hat's aufbewahrt.

Das schenkt er jetzt der Kirsche,

sie soll es tragen, zeigen,

soll die leuchtend rote baumgroße Blume in des Herbstes Landschaft sein.

Noch einmal erfreut die Kirsche in der aufziehenden kalten Zeit

Uns, bevor sie sich zur Winterruhe legt mit einem roten Kleid.

 

Der Winter, der Tod im Reigen

der Jahreszeiten

ist vergangen.

Die Zeit rüstet zum großen Frühjahrsfest-

Zur Hochzeit der Natur

Und wieder erfreut die Kirsche uns

Jetzt mit ihrer weißen Blütenpracht

Ein Brautkleid der Natur.

 

Oh siehst du da, ein Reiß spross aus dem Boden

Und zarte Blätter treibt's

Die Rinde ist gleich des Kirschbaums.

War dies einst dein, mein Kirschenstein?